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Zeitlebens eng verbundene Zwillinge

Gerne ließen und lassen sich die Zwillingsbrüder Hansjürgen und Joachim Lothar Gartner nicht nur so nennen, sondern verstanden und verstehen sich so lebenslänglich als innigst verbunden. Fast kann man Aussagen des einen deckungsgleich auch auf den anderen übertragen, keinesfalls aber im banalen Sinn. Die Ausdifferenzierung in der Auffassung, im Künstlerischen, im Lebensstil usw. gibt es trotzdem und Gott sei Dank. Jedenfalls ist ihnen immer das Wort „beide“ sehr wichtig.

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Joachim Lothar Gartner & Hansjürgen Gartner

In diesem Sinne lassen sich Aussagen in einem Interview der Augsburger Allgemeinen mit Hansjürgen zur Coronakrise durchaus auch auf den in Wien lebenden Bruder übertragen. Ohne Scheu bekennt er sich zum christlichen Menschenbild, wenn er betont, dass die Hoffnung dem Gedanken an die Auferstehung im christlichen und ebenso im übertragenen Sinn gründet. Er bekennt sich zur Freude, Sehnsucht und Hoffnung als tragende Elemente der Motivation seiner künstlerischen Tätigkeit, ja seiner Existenz überhaupt, wobei das unerschöpflichen Thema Mensch im Mittelpunkt seiner bildnerischen Auseinandersetzung mit ihm steht. Die Gesetzmäßigkeiten eines Bildes seien darüber hinaus auch jene des Lebens, wobei der Mensch als Nächster gesehen wird. Und zwar nicht nur der mit Vorzügen bedachte, sondern besonders und gerade derjenige, „den das Schicksal als einen Boten Gottes an ihn heranbringt“ (Worte des Augsburger Religionsphilosophen Herman Weidelener).

Sudetenland, Leipzig, Wien, Augsburg

Die beiden Künstler stammen aus dem Sudetenland (Steinschönau, Nordböhmen) und kamen als Flüchtlinge über Leipzig nach Wien, wuchsen dort gemeinsam auf und studierten u.a. Textildesign und kamen dann in die Textilstadt Augsburg. Da richteten sie im Holbeinhaus ein erfolgreiches Atelier ein. 1989 aber ging Joachim Lothar (im Folgenden immer nur Lothar)
aufgrund der Berufung zur Dozententätigkeit nach Wien und Hansjürgen blieb als freischaffender Künstler in Augsburg.

Die Gartners – Brüder im Geiste

Auf die Frage der Interviewerin Sibille Schiller „Wie gehen Sie mit der (Corona-)Krise um?“, antwortete Lothar: „Diese Krise ist eine Herausforderung. Leere Straßen und Plätze muten fast surreal an … es scheint, als gewinnen andere Werte an Bedeutung als die, das ‚Goldene Kalb‘ anzuhimmeln“.

Ist es nicht nur eine andere Formulierung des gleichen Grundgedankens der Hoffnung seines Bruders? Die Herausforderung als Hoffnung, als Evokation, leere Plätze als Motivation für Kunst, z.B. für den Surrealismus?

Die Erfahrung von Flucht und Vertreibung prägte die Brüder. Die Kleinkinder mussten die wilde Vertreibung miterleben, in Dresden fanden sie einen Trümmerhaufen vor, in Leipzig bekamen sie bei einem Bauern zu essen. 1949 floh die Mutter mit den Kindern nach Wien und sie trafen dort den Vater. Diese Weltstadt der Architektur prägte die Kinder von klein auf. Über den kulturinteressierten Vater lernten sie die Museen der Stadt kennen, darunter das Kunsthistorische Museum und die damaligen Kunstrichtungen.

Gartner Kunst Know-How

Im Januar hatte ich das Glück zusammen mit Hansjürgen dieses Museum erneut zu besuchen (Lothar war leider verhindert) und seine unglaublichen Kenntnisse über z.B. Caravaggio oder Bruegel zu bestaunen. (Zu anderen Zeiten bestaunte ich eine Ausstellung avantgardistischer Kunst im Künstlerhaus, wofür Lothar verantwortlich zeichnete). Das Studium der Brüder an der höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt (eine hochschulmäßige Einrichtung) vertiefte die Kenntnisse und Erkenntnisse, das Können und Wirken der Brüder Gartner enorm. Viel trug zu ihrer künstlerischen Entwicklung der Kontakt mit Vertretern der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ bei, deren Kunstrichtung sie sich anschlossen.

Weg in die künstlerische Selbständigkeit

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Hansjürgen Gartner & Joachim Lothar Gartner

1965 gingen die Beiden als Textildesigner nach Augsburg, um hier ihre künstlerische Tätigkeit fortzuführen. Trotz einer Anstellung war ihr Ziel eine selbständige künstlerische Existenz. So kam es zur ersten Einzelausstellung 1971 auf der Kunstzone München. Ab dieser Zeit beteiligten sie sich an Wettbewerben und waren vielfach an der Gestaltung von Gebäuden namhafter Architekten maßgeblich beteiligt. Lothar bildete sich zudem zum Kunsterzieher und war teilweise gleichzeitig auch Präsident des Verbandes bildender Künstler für Schwaben. Die Brüder waren u.a. für die Gesamtausstattung von Ballettaufführungen an den Städtischen Bühnen verantwortlich. 1989 kam ein großer Einschnitt in das Leben der Brüder Gartner, da Lothar eine Dozentur an der Ausbildungsstätte in Wien annahm, wo er selbst studiert hatte. Hansjürgen blieb als freischaffender Künstler in Augsburg. Beide schritten in künstlerisches Neuland weiter mit neuen Materialität, freieren Umgang mit Farbe, Einbeziehung von Zufall usw. Die Landschaft wurde ein wesentliches Thema (darunter die sog. „Vegetationsbilder“). Nahtlos ging es in die Abstraktion weiter. Walzendrucke, Texturhaut, variable, raumbezogene Arbeiten und Lasurtechnik spielten eine große Rolle. Zwar laufen die Entwicklungen der Brüder Gartner parallel, jedoch bevorzugt ab hier Hansjürgen die Darstellung des Menschen und Lothar die Landschaft, beides mehr und mehr der Abstraktion zugewandt. Eine besondere Bedeutung gewann die Beteiligung an der Ausstellung „Borderline-Syndrom“ in Karlsbad 2015. Mechthild Müller-Hennig schrieb dazu, dass diese Bilder „an das grenzenlose Ausmaß der Zerstörung … der Heimat erinnern.“

Zukunftsgerichtetes Engagement

Ihre Kunst an die nächste Generation zu vermitteln war auch immer eines der Hauptaugenmerke der Künstlerbrüder. Wie Lothar in Wien Studenten unterrichtete, so widmete sich Hansjürgen in Augsburg verschiedenen Institutionen, darunter der VHS. Beide sind immer wieder als Kuratoren tätig und sehr gefragt. Darüber hinaus betreuen sie internationale Austauschprojekte und Großausstellungen (Lothar in Wien 2008 z.B. „Alfred Hrdlicka – Der Titan und die Bühne des Lebens“; Hansjürgen z.B. „Zeichen für Frieden“ 2003 oder 2017 „Gegenstand-Widerstand“ im Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg, zusammen mit der KünstlerGilde.).

Beide engagieren sich immer wieder in den verschiedenen Künstlervereinigungen; Lothar etwa als Präsident der „Gesellschaft der Bildenden Künstler Österreichs“ – Künstlerhaus Wien von 2006-2012 (Darunter die Ernennung zum Professor der Republik Österreich und Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Künste; Hansjürgen als Mitglied des Gremiums der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien; Mitherausgeber der Kulturzeitung „Sudetenland“.)

Ausgezeichnet. Glückwunsch!

Von den reichhaltigen Auszeichnungen seien nur noch genannt: die Brüder wurden in die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste berufen und erhielten zuletzt 2018 gemeinsam den Großen Sudetendeutschen Kulturpreis in Zusammenarbeit der Bayerischen Staatsregierung mit der Sudentendeutschen Landsmannschaft. Die KünstlerGilde e.V. gratuliert den Zwillingsbrüdern Hansjürgen und Joachim Lothar Gartner sehr herzlich zu ihrem kürzlichen 75. Geburtstag, verbunden mit dem herzlichen Dank für die vielfältig und herausragend geleistete Tätigkeit in unserer Künstlervereinigung. In diesem Zusammenhang natürlich vor allem Hansjürgen für die unermüdliche Arbeit in der Vorstandschaft und als Fachgruppenleiter für die Bildende Kunst. Nicht zu vergessen, die immer vorbildliche menschliche, kameradschaftliche, humorvolle und freundschaftliche Art und Weise in allen Belangen unserer KünstlerGilde. Wir wünschen beiden alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen.

Autor: Dr. Dietmar Gräf
Stellvertretender Bundesvorsitzender der KünstlerGilde e.V. (Sitz Esslingen)
Im Auftrag der Vorstandschaft

Dieser Artikel erschien auch in der Ausgabe 2020-I des Zeitschriften-Magazins der KünstlerGilde mit Sitz in Esslingen a.N.

Weiterführende Links:

Personen-Vorstellung Hansjürgen Gartner bei der KünstlerGilde

Personen-Vorstellung Joachim Lothar Gartner bei der KünstlerGilde

Vita Hansjürgen Gartner | Offizielle Homepage des Künstlers

Vita Joachim Lothar Gartner | Offizielle Homepage des Künstlers

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Zum 75. Geburtstag von „Gartner und Gartner“